Keine Anonymität mehr? Alterskontrollen kommen ins Web.
Die Art und Weise, wie wir im Internet surfen, könnte sich bald grundlegend ändern, und zwar nicht nur für die Kinder. In den Jahren 2022 und 2023 denken zahlreiche Länder über eine Alterskontrolle für die Internetnutzung nach. Damit sollen die Kleinen vor den wilden Sachen im Internet geschützt werden. Um Kinder online zu schützen, zwingen uns immer mehr Unternehmen und Regierungen, unser Alter nachzuweisen. Aber hier ist der Haken: All diese Schutzmaßnahmen könnten uns etwas kosten:
Unsere Online-Privatsphäre
Wie Richard Errington der New York Times erklärt, klickte er eines Tages auf einen Science-Fiction-Film, um ihn von seinem Zuhause in Großbritannien aus zu streamen, als YouTube ihn auswies.
Die Seite sagte, dass Herr Errington, der über 50 ist, beweisen müsse, dass er alt genug sei, um “Space Is the Place“, einen Film von 1974 mit dem Jazzmusiker Sun Ra, zu sehen. Er hatte drei Möglichkeiten: Seine Kreditkartendaten eingeben, einen Lichtbildausweis wie einen Reisepass hochladen oder das Video überspringen.
Genervt davon entschied er sich, das Video zu überspringen.
Die Idee der Alterskontrolle ist nicht neu. Wahrscheinlich hast Du schon einmal angekreuzt, dass Du alt genug bist, um bestimmte Dinge zu sehen, oder Dein Geburtsdatum eingegeben, um ein Konto zu erstellen, oder? Aber weißt Du was? Es ist gar nicht so schwer, diese Dinge zu fälschen.
Seit 2021 fordern die Vereinigten Staaten neue Regeln zum Schutz junger Menschen, nachdem ein ehemaliger Facebook-Mitarbeiter behauptet hatte, das Unternehmen wisse, dass seine Produkte einigen Teenagern schaden. Sie wiederholten diese Forderungen am Dienstag bei einer Anhörung mit Führungskräften von YouTube, TikTok und der Muttergesellschaft von Snapchat.
In Japan müssen Menschen ein Dokument vorlegen, das ihr Alter belegt, um die Dating-App Tinder zu nutzen. Bei dem beliebten Spiel Roblox müssen Spieler/innen einen amtlichen Ausweis hochladen – und ein Selfie machen, um zu beweisen, dass der Ausweis ihnen gehört -, wenn sie Zugang zu einer Voice-Chat-Funktion haben wollen. Gesetze in Deutschland, der Schweiz und Frankreich verlangen, dass Porno-Webseiten das Alter ihrer Besucher/innen überprüfen.
Soziale Plattformen haben damit begonnen, Maßnahmen zur Überprüfung des Alters zu ergreifen.
Die Suche nach einer Lösung für die komplexe Herausforderung, das Alter von Internetnutzern zu verifizieren, ohne ihre privaten Online-Aktivitäten zu gefährden, beschäftigt staatliche Stellen, private Unternehmen und Wissenschaftler seit Jahren. Doch der Konsum von Inhalten und die Kommunikation im Internet ähneln immer weniger einem anonymen öffentlichen Raum, sondern eher einem Bankbesuch, bei dem man nachweisen muss, dass man derjenige ist, der man vorgibt zu sein.
Selbst nach erheblichen Anstrengungen haben wir als Verfechter des Datenschutzes nur wenig Vertrauen in die Bereitschaft staatlicher Stellen, diese Herausforderung wirksam und verfassungskonform anzugehen.
Eine gängige Methode ist, dass Dritte für Dein Alter bürgen – z. B. indem Du Deine Kreditkarte oder Deinen Ausweis vorlegst oder Dich bei einem Drittanbieter wie Allpasstrust oder Jumio anmeldest. Andere Möglichkeiten sind etwas ausgefallener. Stell Dir vor, Du nutzt eine Kamera und Gesichtserkennung, um herauszufinden, ob Du über 18 bist – Facebook und Instagram machen das bereits. Eine andere Methode ist etwas verrückt – sie errät Dein Alter anhand dessen, was Du online machst. Das ist in Frankreich schon auf dem Radar.
Eine Aktualisierung der EU-Vorschriften für Video- und Audiodienste verlangt von Webseiten, dass sie Minderjährige schützen, wozu auch die Überprüfung des Alters der Nutzer/innen gehören kann. Als Reaktion auf diese Änderung hat Google angekündigt, dass es einige Nutzer/innen von YouTube, das dem Unternehmen gehört, nach ihren Ausweispapieren oder Kreditkartendaten fragen wird, bevor sie Videos ansehen können, die nur für Erwachsene bestimmt sind.
Praktisch, dass Social-Media-Apps “gezwungen” sind, nach Deinen Kreditkartendaten zu fragen, oder?
In der Europäischen Union wird ein System namens euCONSENT erprobt. Dabei kannst Du aus verschiedenen anerkannten Methoden wählen, um Dein Alter online nachzuweisen. Einige fragen nach einem amtlichen Ausweis wie Deinem Führerschein oder Deiner Kreditkarte, andere nutzen die Gesichtserkennung.
Die Untersuchung der verschiedenen Möglichkeiten zur Altersverifizierung zeigt, dass jede Methode erhebliche Schwachstellen aufweist.
Die Verwendung von Kreditkarten oder amtlichen Ausweisen kann zum Beispiel dazu führen, dass bestimmte erwachsene Nutzer/innen ohne solche Ausweise ausgeschlossen werden, was zu Ungleichheiten beim Zugang führen kann.
Auf Gesichtserkennung basierende Alterserkennungsmethoden scheinen zwar vielversprechend zu sein, haben aber ihre eigenen Probleme. Auch wenn einige von ihnen eine hohe Genauigkeit versprechen, kann es sein, dass diese Technologie bei Personen mit unterschiedlicher geschlechtlicher Identität, ethnischer Zugehörigkeit oder unterschiedlichem Aussehen nicht so gut funktioniert, was zu einem ungleichen Zugang zu Online-Ressourcen führt.
Die französische CNIL hat gemeinsam mit Experten Methoden entwickelt, die temporäre Token verwenden, um das Alter zu verifizieren, ohne persönliche Daten preiszugeben. Aber auch solche Ansätze haben ihre Grenzen, wie z. B. die Möglichkeit, das System über virtuelle private Netzwerke (VPNs) zu umgehen.
Die PRVCY-Auswirkungen
All diese Systeme benötigten eine Datenbank mit sensiblen Informationen über Kinder, finanzielle und persönliche Informationen von Menschen, die ausgenutzt werden könnten.
Die Einführung von Altersverifikationssystemen könnte ungewollt eine weit verbreitete Datenerfassung normalisieren und in Zukunft eine verstärkte Überwachung ermöglichen. Ich möchte klarstellen, dass uns das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen wirklich am Herzen liegt. Das Problem ist, dass alle Altersüberprüfungsmethoden im Wesentlichen Überwachungssysteme sind, die die Sammlung und den Verkauf privater Daten verschärfen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Landschaft der Online-Interaktionen verändern wird, da die Vorschriften zur Altersverifizierung weltweit an Fahrt gewinnen. Während der Gesetzgeber versucht, Kinder vor potenziellen Gefahren zu schützen, bleibt das empfindliche Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der Durchsetzung von Vorschriften ein strittiges Thema. Das Ergebnis dieser Bemühungen wird zweifelsohne die Zukunft der Online-Interaktionen für alle Nutzer/innen prägen.
Im Namen des Schutzes der Menschen könnten sie die Privatsphäre der Nutzer/innen gefährden, die freie Meinungsäußerung einschränken und Gemeinschaften schaden, die von der Anonymität im Internet profitieren, während sie unsere persönlichsten Daten und unsere Freiheit stehlen.
